Mein Name ist Henning. Ich studiere im zweiten Semester den Studiengang Jüdische Studien an der Universität Potsdam und zwar im – Achtung Spoiler! – Master. Wie vielleicht jetzt verständlich wird, möchte ich dir heute nicht von meinem ersten Semester, sondern von meinem „zweiten ersten Semester“ berichten, das sich für mich persönlich oft wie ein echtes Erstsemester anfühlte – schon allein wegen des Orts- und Fachwechsels!
Alles neu macht der Oktober – ein Tagebucheintrag eines alten „Erst“ Semesters
Hochzeiten markieren Übergänge im Leben. Aus Paaren werden Eheleute, aus Eltern Schwiegereltern und aus guten Freund:innen werden Trauzeug:innen. Für normale Gäste wie mich gilt das eigentlich nicht, doch in diesem Fall markierte die Feier eines guten Freundes meinen letzten Besuch in Bochum – der Stadt, in der ich in den vergangenen vier Jahren gelebt und meinen Bachelor absolviert habe. Das war am 16. Oktober und ist inzwischen fast ein Jahr her. Moment mal! Du fragst dich jetzt was das bitte mit dem ersten Semester an einer Hochschule zu tun hat? Berechtigte Frage. Die Antwort kommt hier.
Aufbruchstimmung
Bald startet das Wintersemester 2022/23. Für Erstis ist es der erste Schritt ins Studierendenleben. Erstsemester erleben an der Hochschule in wenigen Monaten unzählige Premieren: die erste Wohnung einrichten, den ersten Elternbesuch planen, das erste Referat halten, auf der ersten Ersti-Party abfeiern, das erste Mal „mensen“ und die erste Klausur schreiben. Nach einer etwas überreizten Regelstudienzeit an der Ruhr-Universität Bochum hatte ich schon Erfahrung damit, wie ein Studium funktioniert, doch mit der Entscheidung mein Studium im Master fortzusetzen und das an einem völlig neuen Studienort, erwarteten mich einige Comebacks dieser Premieren.
Die Einrichtung meines WG-Zimmers im schönen Potsdam habe ich Anfang Oktober erledigt, meine ganze Habe war also schon vor mir dort. Mit einem Reiserucksack ausgestattet, bin ich am Tag nach der Hochzeit von Bochum mit dem Zug nach Potsdam gefahren, um gleich dort zu bleiben. Für den Sonntagabend war ich mit meinen Mitbewohner:innen verabredet, um auf den Rummel am Lustgarten zu gehen. Wir hatten einen sehr schönen Abend und ich habe mich sehr über die Offenheit der Leute und die Aufnahme in der Gemeinschaft gefreut. In den folgenden Tagen habe ich begonnen, mich in der Stadt und auf dem Campus am Neuen Palais zurecht zu finden und letzte Vorbereitungen zu treffen.
Wie anders kann es in Potsdam schon sein?
Wie sich herausstellte, gab es viele Dinge, an die ich mich erst gewöhnen musste: Die Entfernung vom Campus zum nächsten Café, der scheinbar winzige Campus und das Gefühl, „am Schloss“ zu studieren. Außerdem habe ich das Fach gewechselt. Von Geschichte und Sozialwissenschaft und um ganz genau zu sein dem Studiengang Kultur, Individuum und Gesellschaft, zu den Jüdischen Studien. Ausgehend von einem Schwerpunkt im Bachelorstudium wollte ich mein Interesse systematisieren und die Disziplin kennenlernen, die sich mit „dem“ Judentum als religiösem, historischen und kulturellem Phänomen interdisziplinär auseinandersetzt. Meine Motivation, diesen Wechsel zu vollziehen, war nicht nur inhaltlicher Natur. Es ging mir auch darum, etwas Neues kennenzulernen, mich herauszufordern und meine Perspektive zu erweitern. Einige meiner Kommilton:innen aus dem Bachelorstudium haben mir davon abgeraten; schließlich kannte ich mich in Bochum bereits mit Fach und Umgebung aus, habe ein soziales Umfeld aufgebaut und Kontakte am Institut geknüpft. Bochum – Potsdam. Mir war bewusst: Der Kontrast könnte kaum größer sein. Großstadt im Zentrum des Ruhrgebiets „tief im Westen“ – wie es ein bekannter Song beschreibt – versus Perle preußischen Glanz und Glorias. Einmal in Potsdam angekommen fand ich sofort einen neuen Lieblingsplatz: der obere Park Babelsberg mit Blick auf die Glienicker Brücke. Hier lässt sich der Sonnenuntergang entspannt genießen.
Ein außergewöhnlicher Studiengang
Ich bin froh, dass mich dieser in Deutschland recht einzigartige Studiengang nach Potsdam geführt hat. Im Masterstudiengang Jüdische Studien setzen sich Studierende mit spannenden, religions-, kultur- und geschichtswissenschaftlich geprägten Forschungsfragen zum breiten Spektrum des Judentums auseinander.
Wusstest du eigentlich, dass das Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaften, bei welchem der konfessionell nicht gebundene Studiengang der Jüdischen Studien angesiedelt ist, eine der renommiertesten Einrichtungen für Jüdische Studien in Europa ist? Sicher nicht, ist ja auch recht spezifisch, aber das eröffnet natürlich tolle Möglichkeiten, so zum Beispiel gemeinsame Lehr- und Forschungsprojekte über Kooperationsvereinbarungen mit dem Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, dem Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg sowie dem Jüdischen Museum Berlin. Es gibt sogar ein Stipendien- und Austauschprogramm für Studierende und Lehrende mit der Universität Haifa.
Obwohl ich meine Entscheidung bis heute nicht bereue, blieben Fragen nach dem „Was wäre, wenn?“ natürlich nicht aus. Etwas Wehmut zu verspüren, zeigt aber auch, dass es mir in Bochum gefallen hat, was mir angesichts des unspektakulären Abgangs im dritten Pandemie-Semester auch ein wichtiges Zeichen war. Der Übergang zurück in die Präsenz-Lehre war in meinem Fall, also auch ein Übertritt in eine völlig ungewohnte (Studien-)Umgebung. Überhaupt konnte ich mir kaum vorstellen, diesen bisherigen Studienort, der zuletzt mit Einsamkeit und zermürbender Bildschirmarbeit verbunden war, erneut positiv zu besetzen. Das hat mir den Wechsel nach Potsdam zusätzlich erleichtert.
Raus aus dem Wohnzimmer, rein in den Hörsaal
Schon bei der Einführungsveranstaltung des Instituts für Jüdische Studien und Religionswissenschaft merkte ich das Zusammenfallen meiner Aufbruchsstimmung mit der Euphorie der Studierenden und Dozierenden, sich endlich wieder persönlich zu begegnen. Kleinere Gespräche bei Kaffee, eine Campusführung und die feierliche Semestereröffnung des Instituts in der kommenden Woche sorgten für einen fantastischen Empfang. Für meine fachliche Spezialisierung im Master habe ich mir genau das gewünscht – einen kleinen Studiengang mit direktem Kontakt und problemlosem Kennenlernen. Zum Vergleich: In meinem ersten Semester in Bochum haben neben mir 400 Studierende ihr Geschichtsstudium aufgenommen und im Einführungsseminar waren wir beinahe 40 Studierende. Meine neuen Kommiliton:innen hingegen konnte ich an einer Hand abzählen. Beide Erfahrungen möchte ich nicht missen und beide bieten ihren Reiz.
Ernüchterung und Ruhe
Für mich umwehte das Masterstudium vor seinem Beginn ein Hauch von heiligem Ernst. Während man sich im Bachelor noch ausprobieren konnte, ging es nun um die Professionalisierung auf einem bestimmten Gebiet, immer mit Blick auf die Zeit nach dem Masterabschluss. Eigene Unzulänglichkeiten und Wissenslücken zu ertragen, war durchaus eine Herausforderung für mich. Es gab Veranstaltungen, die den Quereinstieg deutlich erleichtert haben und trotzdem braucht die Umstellung viel Zeit im Selbststudium.
Mir war es ungeheuer wichtig, meine Zeit möglichst sinnvoll zu nutzen und meine Entscheidung genau abzuwägen. Dazu gehörte auch die Sicherstellung von Finanzen und ausreichend Zeit für sportliche „Ablenkung“. Neben der Anmeldung zum Tischtennis-Training beim Hochschulsport auch, dass ich mich auf gleich zwei Hilfskraftstellen in Berlin bewarb und zwei Absagen erhielt. Damit musste ich erst umgehen lernen und noch dazu stellte sich mein Stundenplan Mitte Dezember ganz auf digitale Lehre um. Das Tischtennis-Training besuchte ich schnell nicht mehr, weil es mir wegen der steigenden Infektionszahlen zu riskant erschien. Obwohl ich die Vorzüge der Online-Lehre kenne und nachvollziehe, studiere ich nicht gerne im digitalen Raum und deshalb stellte ich mir Fragen wie: „Was ist, wenn meine Motivationsprobleme aus den vergangenen Digitalsemestern mit ganzer Härte zurückkommen?“ So schlimm kam es nicht, denn schon das nächste Semester kündigte sich mit voller Präsenz an. Ein Versprechen, das zum Glück gehalten wurde.
Der Mythos des ersten Semesters
Ihr müsst wissen: Das erste Semester als besondere Studien- und Lebensphase interessiert mich schon länger. Über das Stellenportal des Studentenwerks Potsdam bin ich auf die Ausschreibung einer spannenden Stelle im Projekt „Lernlücken schließen, Studierende unterstützen“ in der Zentralen Studienberatung aufmerksam geworden. Inzwischen arbeite ich dort seit Februar als wissenschaftliche Hilfskraft und durfte im Rahmen unseres Projekts ein Gespräch mit zwei „alten (Erst-)Semestern“ über ihre Erfahrungen, Probleme und Ratschläge für zukünftige Erstis, also dich, führen. Das Gespräch ist im Podcast „Einmal UPholen bitte!“ der Universität Potsdam in Auszügen veröffentlicht. Das Folgende also nur als Teaser vorab.
Pilar, 21 Jahre alt, und Hannes, 19 Jahre alt, ließen mich sowie alle Hörer:innen in ihre virtuellen Tagebücher reinschauen. Ihre Statements und Tipps für Erstis aber auch Studis im Folgesemester möchte ich euch an dieser Stelle nicht vorenthalten.
Pilar, 6. Semester Wirtschaftsinformatik Universität Potsdam
„Ich bin aufgrund von Zeitnot und meiner Arbeit in der Gastro ins Studium reingestolpert, aber Vorkurse waren meine Rettung!“
Mein Erstsemester fand noch in Präsenz statt und war zu Beginn einfach nur Glück. Ich war euphorisch aufgrund des Tapetenwechsels und der neu gewonnenen Selbstständigkeit. Wenn ich Erstis jedoch einen Tipp mitgeben darf, dann würde ich auf jeden Fall dazu raten, nicht zu kurzfristig mit der Planung zu starten so wie ich (1 Tag zuvor), sondern sich gründlich die Studienordnung und den Verlaufsplan des gewählten Studiengangs durchzulesen, um einen Plan zu haben. Und: Nutze jeden möglichen Vorkurs (auch, um Freundschaften fürs Studium zu gewinnen) und verteile deine Kurse gut über die Woche! Freie Tage sind super, aber was helfen dir diese, wenn du nach 1-2 Tagen völlig ausgelaugt bist!
Hannes, 4. Semester Lehramt Englisch und Chemie Universität Potsdam
„Mein erstes Semester lief ziemlich chaotisch und ich war organisationstechnisch alles andere als der vorbildliche Ersti!“
Im ersten Semester fiel mir tatsächlich die pandemiebedingte Online-Lehre etwas schwerer. Lediglich meine Chemiekurse fanden in Präsenz im Labor statt. Das Resultat: eine schwankende Motivation am heimischen Rechner und nur zwei neue Freund:innen, welche ich durch die gemeinsame Arbeit im Labor kennenlernte. Sicher läuft das in Präsenz heute viel einfacher. Ich rate jedem Neustarter und jeder Neustarterin dennoch jedes Erstie-Angebot, sei es ein Vorkurs oder auch eine Online-Infoveranstaltung, zu nutzen. Ich hatte einen guten Kumpel, der bereits ein Juniorstudium an der Uni absolvierte und mir viel zu den organisatorischen Grundlagen sagen konnte. Doch das hat nicht jede:r. Organisation ist so unglaublich wichtig und ein gutes Gesamtfeeling für den Studienstart und deinen neuen Campus bekommst du nur, wenn du dich mehr als eine Woche vorher damit beschäftigst und nicht nur Campuspläne am Handy studierst.
Zurück zu mir
Eine wichtige Erkenntnis des Gesprächs mit Pilar und Hannes ist, dass soziale Kontakte zu Mitstudierenden enorm wichtig sind, um sich zurecht zu finden und wohlzufühlen. So ging es auch mir. Der Kontakt zu einigen meiner Freund:innen von früher blieb bestehen und auch mit meinen aktuellen Kommiliton:innen verstand ich mich immer besser. Diese zum Teil weit verstreuten Freundschaften zu pflegen, ist manchmal ein Balanceakt. So wird es dir vielleicht auch gehen, besonders, wenn sich dein Wohnort mit dem Studienstart ändert.
Nach der anfänglichen Euphorie, die zunächst von der Ernüchterung im Studienalltag abgelöst wurde, stellte sich so etwas wie Routine ein. Es war ein gutes Gefühl, dass ich mich auf meine Kenntnisse der vergangenen acht Semester verlassen konnte, während ich mein neues Fach erkundete. Ein ganz so blutiger Anfänger wie im Wintersemester 2017/18 war ich wohl nicht mehr, aber auch kein aufgeregter „Ersti“ mit schier unbegrenzten Möglichkeiten. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis der Masterabschluss erreicht ist, das wurde mir im Verlauf meines „zweiten ersten Semesters“ klar. Inzwischen kann ich das aber gut ertragen und sogar genießen. Ein neues Fach kennenzulernen und ihm mit dem Rang eines Abschlusses gerecht zu werden, fordert einfach etwas mehr Zeit. Das ist auch gut so. Nur ein „drittes erstes Semester“ wird es wohl nicht geben – schade eigentlich. Dir wünsche ich auf jeden Fall viel Erfolg bei den Studienvorbereitungen, ganz gleich ob Neustart oder Fortsetzung des Studiums! Komm gut rein und genieße es!
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